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Titel
: Die Bergdoktoren Autor/Medium : Ulrike Moser Datum 14.04.2008 |
Medizin In mittleren und großen Höhen reagiert der Organismus anders als im Tal – für Wissenschafter Anlass zu besonderen Studien, die auch zur Entwicklung neuer Medikamente führen. Es war wohl eines der spektakuläreren bergmedizinischen Experimente, als sich im Frühling 2003 eine deutsch-schweizerische Expedition aufmachte, um den höchsten Berg der Welt, den Mount Everest, zu erklimmen. Mit im Gepäck: ein Ergometer und die Ausrüstung für ein behelfsmäßiges Lungenlabor. Die Bergsteiger sollten in einer Höhe von 5300 Metern medizinische Tests unter erschwerten Atembedingungen und körperlicher Anstrengung absolvieren. Eine Tortur für die Probanden, aber ein Erfolg für die Wissenschaft, konnten doch die beiden Studienleiter, Friedrich Grimminger und Ardeshir Ghofrani vom Zentrum für Innere Medizin am deutschen Universitätsklinikum Gießen, beweisen, dass mithilfe des Arzneimittelwirkstoffs Sildenafil, besser bekannt als Potenzmittel Viagra, der Lungenhochdruck, dem Lungenkranke im Tal und Extrembergsteiger in großen Höhen gleichermaßen ausgesetzt sind, verringert werden kann. Unter erschwerten Bedingungen wie im Hochgebirge zeigt sich nicht nur die Wirkung mancher Medikamente auf besondere Weise, es offenbaren sich auch bestimmte positive oder negative Auswirkungen auf den menschlichen Körper, die unter Laborbedingungen kaum getestet werden könnten. Von besonderem wissenschaftlichem Interesse sind die Effekte von mittlerer Höhe (bis zu 3000 Meter) und großer Höhe auf den Organismus. Grimminger und Ghofrani waren auf der Suche nach einem Medikament, das den Blutfluss in der Lunge bei Lungenhochdruck verbessern könnte, und vermuteten in Viagra das Mittel der Wahl. Um das zu beweisen, waren Versuchsreihen notwendig. „An Kranken konnten wir nicht experimentieren. Um extremen Lungenhochdruck zu simulieren, blieben uns als Probanden nur jene, die sich aufgrund der dünnen Luft in großen Höhen selbst freiwillig krank machen: Extrembergsteiger“, berichtet Friedrich Grimminger. Durch den Sauerstoffmangel haben die Veränderungen ihrer Gefäße (siehe auch Kasten) Modellcharakter für zahlreiche Lungenerkrankungen wie Lungenfibrose und eignen sich daher für die Untersuchungen. Ergometertest Also schwangen sich die Bergsteiger in 5300 Meter Höhe unter Beobachtung der Mediziner beispielsweise auf einen Ergometer. Sobald Gefäßveränderungen auftraten, erhielten die Probanden Sildenafil. Es zeigte sich, dass der durch Sauerstoffmangel hervorgerufene Lungenhochdruck mit dem Medikament tatsächlich gesenkt werden konnte, gleichzeitig stieg die körperliche Leistungsfähigkeit. Die Versuche zahlten sich aus, konnten die Mediziner doch beweisen, dass Sildenafil den pulmonalen Blutfluss dorthin umleitet, wo beste Belüftung und Sauerstoffanreicherung in der Lunge herrscht. Zwei Jahre später wurde aufgrund der Tests Sildenafil unter dem Markennamen Revation im Eilverfahren zur Behandlung des Lungenhochdrucks zugelassen. Nicht ganz so spektakulär sind die Studien österreichischer Bergmediziner und Sportwissenschafter, die sich vorwiegend mit den Auswirkungen mittlerer Höhe auf den Organismus beschäftigen. Bereits seit dem Jahr 1998 beforschen die Mediziner Wolfgang Schobersberger und Egon Humpeler vom Institut für Urlaubs-, Reise- und Höhenmedizin an der Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften, medizinische Informatik und Technik (UMIT) in Innsbruck die gesundheitlichen Auswirkungen eines Urlaubs in den Bergen in Höhen von bis zu 2000 Metern. Für die Austrian Moderate Altitude Study (AMAS) wurden drei Wochen lang 100 Probanden mit dem metabolischen Syndrom (Übergewicht, Bluthochdruck, erhöhter Blutzucker- und Cholesterinspiegel, die zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen) in Lech und Obertauern getestet. Schobersberger: „Wir wollten uns ansehen, wie sich Bewegung in den Bergen auf Probanden mit einer Vorerkrankung auswirkt.“ Pro Woche standen fünf betreute Wanderungen am Programm, bei denen auf die Herzfrequenz geachtet wurde, um die Versuchspersonen keinem erhöhten Risiko auszusetzen. Nach drei Wochen hatten sich alle Kernbereiche des metabolischen Syndroms verbessert: Ohne Diät speckten die Versuchspersonen bis zu fünf Kilo ab, der Blutdruck normalisierte sich, sodass Medikamente reduziert oder abgesetzt werden konnten, der Cholesterinspiegel sank, und auch der Zuckerstoffwechsel verbesserte sich. So konnte erstmals bewiesen werden, dass ein Aktivurlaub in den Bergen tatsächlich die Gesundheit fördert. Akute Beschwerden Dies allerdings nur, wenn dem Körper im Vorfeld ausreichend Zeit für die Akklimatisation gegeben wird, wie eine Studie des Höhenmediziners Martin Burtscher vom Institut für Sportwissenschaften zeigt. Hat er diese nicht, droht Höhenkrankheit. Er und sein Team befragten 576 Wanderer und Bergsteiger auf Hütten zwischen 2200 und 3800 Meter Höhe. Die Wanderer mussten mindestens eine Nacht auf der jeweiligen Höhe verbracht haben. Zusätzlich wurden Sauerstoffsättigung und Pulsfrequenz gemessen. Dabei zeigten 25 Prozent Symptome der akuten Bergkrankheit (ABK) – je höher am Berg, desto eher konnten Symptome nachgewiesen werden. Auch stellte sich heraus, dass, anders als bisher angenommen, Frauen ein 1,8-fach höheres Risiko hatten, ABK zu entwickeln, als Männer. Burtscher: „Das kann allerdings auch daran liegen, dass Frauen mehr auf ihren Körper hören und Probleme schneller eingestehen als Männer.“ Um trotzdem gesundheitlichen Nutzen aus dem Bergsport zu ziehen, empfiehlt der Spezialist eine Phase von mehreren Tagen, um dem Körper Zeit zu geben, sich auf die Bedingungen in ungewohnten Höhen einzustellen. Denn selbst gut Trainierte können Probleme mit der Höhenluft bekommen. Um seinen Körper in Belastungssituationen besser kennen zu lernen und sich auf den verminderten Sauerstoff in größeren Höhen einstellen zu können, kann sich unter Umständen auch ein Hypoxie-Training bezahlt machen. „In speziellen Unterdruckkammern simulieren wir die Bedingungen, die in der jeweiligen Höhe vorherrschen, sodass sich Bergsteiger und Wanderer von vornherein die notwendige tiefere Atmung aneignen. Respiratorische Defizite, die unter Umständen in großer Höhe zu Problemen führen, können so gezielt behandelt werden“, sagt Alexander Daume vom Wiener Hypoxia Medical Center. Zwar gibt es über den Effekt des Hypoxietrainings noch keine Studien, allerdings lassen sich derart sensible Personen herausfiltern, die zu einem Höhenlungenödem neigen. Burtscher: „Wenn sich diese dann trotzdem Gewalttouren in großen Höhen antun, wissen sie zumindest um das Risiko und können sich noch gezielter darauf vorbereiten.“ Höhenkrankheit Alle Zustände Ab 2500 Meter Höhe muss der Organismus Mehrarbeit leisten. Je höher man auf einen Berg steigt, desto geringer ist der Sauerstoffgehalt der Luft, doch der Körper passt sich der ungewohnten Situation an. In der ersten Phase (Adaptionsphase) werden die Stresshormone Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet: Selbst in Ruhephasen muss mehr geatmet werden, Puls und Energiebedarf steigen, und auch der Stoffwechsel wird angeregt. Gleichzeitig wird in allen Körperzellen ein so genannter Transkriptionsfaktor produziert, der in den Zellkernen Prozesse anregt, welche die zweite Phase (Akklimationsphase) einläuten: Es kommt zu einer Beruhigung der Atmung und zu einer Anpassung des Herz-Kreislauf-Systems an die Höhe. Die Niere produziert das Hormon Erythropoetin (EPO), was die Produktion roter Blutkörperchen anregt. Diese versorgen in weiterer Folge das Gewebe besser mit Sauerstoff. Bereits ab 2500 Meter Höhe kann es allerdings zur Höhenkrankheit kommen: Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel und Schlafstörungen gehören zu den Symptomen. Ab 3000 Meter Höhe wird es für den (untrainierten) Organismus bereits kritisch. „Die Leistungsfähigkeit nimmt mit zunehmender Höhe immer weiter ab“, weiß der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin, Franz Berghold. „Mit demselben Energieaufwand, mit dem man auf 2000 Meter Höhe in einer Stunde 500 Meter hochsteigt, schafft man auf 5000 Meter nur noch 325 Meter und auf 8000 Meter lediglich 145 Meter.“ Der Körper der Extrembergsteiger verhält sich dabei wie der eines Lungenkranken: Die Blutgefäße in der Lunge verengen sich immer mehr, und Sauerstoff kann immer schwerer eindringen. Das Herz kommt in der Folge kaum mehr damit nach, Blut durch die Lungen zu pumpen. Im Extremfall staut sich das Blut und kann zum Tod führen. Bildtext: Bereits ab 2500 Meter Höhe kann es zur Höhenkrankheit kommen Bildtext: Ab 3000 Meter Höhe wird es für den untrainierten Organismus bereits kritisch. |